Katzengeschichten

Siggi | Abschied von Siggi | Ulla | Tobi | Rita | Karl | Billy | Spatzen-Schicksal

Billy

Wir haben Billy als Findelkind in einer Milchviehanlage(was für ein häßliches Wort) unseres Dorfes bei uns aufgenommen, kurz nach dem unser Jungkater Karl von einer zur nächsten Stunde wie vom Erdboden verschluckt verschwunden war. Eigentlich wollten wir keine weitere Katze mehr aufnehmen – wir hatten ja noch Kater Tobi und Katze Ulla – aber die Nachbarin, die dort arbeitete, schilderte uns das bevorstehende Schicksal von Teufelchen, so hieß Billy nämlich da, so dramatisch, daß wir uns dann doch entschlossen, dem kleinen, handtellergroßen Kerl ein neues Zuhause zu geben. Natürlich waren uns die täglichen Gefahren bewußt, denen Billy auch bei uns hier durch die breite ehemalige Betonstraße – heute eine Asphaltstraße – ausgesetzt war. Schließlich hatten auf dieser unseligen Straße schon einige Katzen Gesundheit oder Leben eingebüßt. Auch unser Tobi mußte diesbezüglich schon eine äußerst schmerzhafte Erfahrung machen. Er wurde angefahren und ist seither mit gesundheitlichen Problemen behaftet. Auch sein Schwänzchen funktioniert nicht mehr so, wie es sich ein stolzer Kater wünscht: Eine Wirbelverletzung lähmt ihn in diesem Teil. Es war fast ein Wunder, ihn seinerzeit überhaupt durchzukriegen!

Tobi und auch Ulla taten sich erwartungsgemäß etwas schwer damit, den neuen Hausgenossen, das neue Familienmitglied zu akzeptieren. Nur nach und nach wurde Billy von den beiden angenommen, zwar nicht gänzlich ohne Vorbehalte, aber er wurde nicht mehr angefaucht, sobald er sich einen der beiden näherte. Alos, es war eine doch problematische, ziemlich lange währende, unsere Nerven mitunter durchaus strapazierende Anpassungsphase. Billy wurde umsorgt, medizinisch betreut, er durfte unsere Möbel rampunieren und hielt uns mit seinen langwierigen Toilettengängen auf Trapp. Kein Stammplatz unserer beiden anderen Katzen war vor ihm sicher. Einer nach dem anderen wurde von ihm in Beschlag genommen und nach kurzer Zeit aber wieder freigegeben. Ulla und Tobi konnten aufatmen. Und wir auch. Schließlich nistete Billy sich auf einem Kleiderschrank ein, der bereits für diesen Zweck präpariert war. Auf dem hatten bisher Ulla und Rita schon ihren Stammplatz eingerichtet. Fast regelmäßig gegen Mitternacht mußte Billy aber vom Schrank absteigen und sich in meinem Bett einnisten. Die erste Zeit lag er dann auf meinem Kopfkissen und drückte seine kalte Nase in meine Augenhöhlen oder Nasenlöcher. Wendete ich mich auf die andere Seite, platzierte er sich genau dort. Oder er lag ganz bescheiden am Fußende meines Bettes. Manchmal machte er es sich aber auch im Bereich meiner Kniekehlen bequem. So richtig schlafen war da nicht möglich. Trotzdem. An seiner Seite zu liegen war mir ein Bedürfnis. Frühmorgens, meist war Billy der erste, kratzte er auf dem Läufer oder an der Tür, um endlich nach draußen gehen zu können. Dieses Ritual vollzog sich nahezu jeden Tag auf's neue. War Billy außer Haus, saß uns doch jedesmal die Sorge im Nacken, ihm könnte etwas zustoßen. Kein Mensch, der Tiere nicht mag, wird bereit sein, sich das vorzustellen. Der würde uns den Vogel zeigen. Einmal war Billy fast zwei Tage weg. Die Suche im Dorf brachte nichts außer der Erkenntnis, offenbar wieder eine Katze auf eine unerklärliche Weise eingebüßt zu haben. Mit der Erfahrung durch das Verschwinden unseres Karls waren wir diesmal eher bereit, den Verlust von Billy zur Kenntnis zu nehmen. Doch siehe da! Plötzlich stand der kleine, noch ziemlich hagere Typ vor unserer Terrassentüre und schaute uns mit treuherzigen Augen ins Gesicht. Meiner Frau und mir fielen zentnerschwere Brocken von der Seele, als wir in dieses kleine, freche Katzengesicht blicken durften. Wir hatten keine Vorstellung, wo Billy gewesen sein könnte.
Billy hatte eine besondere Vorliebe für Bleistifte. Nicht nur, dass er den Stift vom Arbeitstisch unter den Teppich beförderte, nein, er verpasste ihm mit seinen elend spitzen Zähnchen auch noch tiefe Löcher, so als habe eine ganze Schwadron Holzwürmer darin gewütet. Der Verschleiß an Bleistiften durch Billy war größer als bei mir, der sie gelegentlich dazu benutzte, Gedanken aufzuschreiben, bevor sie einem wieder entwischten.

Billy entwickelte sich prächtig. Sein Fell glänzte und war schon dichter geworden. Wir waren gespannt darauf, wie er sich beim ersten Schnee verhalten würde. Schließlich hatte er ja noch keinen gesehen. Als es dann so weit war, wunderten wir uns, wie selbstverständlich der Schnee und die Kälte von Billy zur Kenntnis genommen wurden. Sogar dann, wenn der Schnee alles abdeckte, brachte er von irgendwoher eine Maus. Eines Tages gerieten wir in helle Aufregung. Insbesondere abends legten wir großen Wert darauf, dass unsere Katzen ins Haus kamen. Wir haben unsere Katzen dazu bringen können, beim Signal mit einer Hundepfeife ins Haus zu kommen. Meistens gelang das auch. Oft mußten wir mit mehreren Pfiffen nachhelfen.
Und so auch an jenem Abend, wo Billy trotz mehrerer Pfiffe nicht aufgetaucht war. Plötzlich sah ich ihn im Garten, machte die Haustür auf und rief "Billy!" Da fegte ein kleines schwarzes etwas durch die Tür, nahm mit einem großen Satz die Treppe nach oben und verschwand im Wohnzimmer, dessen Tür einen Spalt offenstand. Ich wunderte mich schon ein wenig, weil er gegen seine Gewohnheit diesmal nicht zum Futternapf ging. Als ich ihm ins Wohnzimmer hinterherstieg, hörte ich ein kräftiges Piepsen, noch bevor ich Billy zu Gesicht bekam.
Und siehe da. Billy hatte eine Maus zwischen seinen Pfoten und sah mich herausfordernt an.
Wir hatten soetwas ähnliches schon früher mit Ulla erlebt. Das war im Eßzimmer. Diesmal war es eben im Wohnzimmer. Und ich überlegte blitzschnell, wie ich verhindern sollte, dass das Mäuschen aus purer Angst sich irgenwo zwischen oder in die Möbel rettet. Wie kaltherzig ich in diesem Moment war. Ich wünsche, Billy würde die Maus wieder packen und sich mit ihr davon machen. Und tatsächlich. Als ich ihm zurief, er solle mit der Maus aus dem Zimmer verwschwinden, hörte er aufs Wort, packte das kleine unschuldige laut piepsende Wesen mit seinen schmerzhaften spitzen Zähnchen und trug es, leicht an den Boden geduckt, wieder die Trepper hinunter. Eilig folgte ich ihm und riß die Haustüre weit auf. Billy folgte meiner Aufforderung, zusammen mit der Maus das Haus sofort zu verlassen und trug sie tatsächlich nach draußen, wo er ihr wenig später erbarmungslos das Leben nahm. Nötig hatte er das nicht. Aber wie soll man einer Katze das verklickern? Was war das für ein Aufatmen von meiner Frau und mir. So sind wir Men schen eben.

Billy hatte noch eine ganz ungewöhnliche Vorliebe zu bieten: Mit Ausdauer und Begeisterung kletterte er in Waschbecken, lies sich mit Wasser bespritzen und saugte schon mal heftig am Wasserauslauf unseres Handwaschbeckens. Jedesmal, wenn ich den Wasserhahn kurz aufdrehte und Billy war in der Nähe, brauste er heran, warf sich ins Becken und sah gespannt zu, wie das Wasser im Abfluß verschwand. Dann leckter er schnell noch die Letzten Tropfen vom Wasserhahn und machte es sich darunter bequem, oder wie er das sah. Billy hatte auch sehr schnell erkannt, wie angenehm es sein konnte, mit einem weichen Handtuch abgetrocknet zu werden, wenn er bei Schmuddelwetter mehr oder weniger naß nach Hause kam. Da forderte er schon mal die Sonderbehandlung ein, indem er miezte, bis das Handtuch kam. Bereitwillig ließ er die Prozedur geschehen, genoss es geradezu.

Schmerzhaft

Es ist ganz sicher kein Kavaliersdelikt oder eine Bagatelle gar, wenn jemand ein Tier - ein geliebtes Haustier allemal - so mir nichts dir nichts über den Haufen fährt und ungestraft davon kommt. Es ist ja nur ein Tier! Kaltschnäutzige - im Halbaffenstadium ihrer Entwicklung zum Menschen befindliche - Zeitgenossen würden jetz dagegenhalten, es gäbe schließlich genug Menschen, die über den Haufen gefahren würden, das solle man bedenken. Das ist wahr. Aber immerhin werden die von ihresgleichen umgefahren und nicht von Katzen. Hier und jetzt jedoch geht es um unsere Mitbewohner des Hauses und um die Bewohner unserer Herzen. Und um die unsäglichen seelischen Belastungen der von diesem Verlust betroffenen Tierhalter. Die uns liebgewordenen Vierbeiner sind die Kinder unserer Seelen. So manchen von uns hat der Verlust des Haustieres das Herz gebrochen, mancher ist krank geworden, andere sind daran gestorben.
Aber noch ist es zu hoch gegriffen, unseren Mitmenschen auch hier Mitgefühl und Respektierung der Schwere des Verlustes abzuverlangen.
Hat ein wüster, rücksichtsloser, kaltschnäutziger, unaufmerksamer, träger, boshafter, schwachsinniger oder psychopatischer Autofahrer, Motorrad- oder Fahrradfahrer ein Tier auf diese Weise verletzt oder umgebracht, schert er sich sogar ein Teufel um die Folgen für die Menschen, deren Lebensalltag, Wohlbefinden und Seelenheil eng mit dem Wohl der Tiere verbunden ist. Sein Schwachsinn erlaubt ihm nicht, die Tragweite seiner Tat zu erfassen. Die Stufe des Menschseins zeigt sich gerade in der Art und Weise, wie sich ein Mensch uns gegenüber wehrlosen, uns völlig ausgelieferten Mitgeschöpfen verhält. Natürlich trifft das auch im Hinblick unseres Verhaltens gegenüber uns irgendwie unterlegenen Mitmenschen zu. Aber ganz besonders gegenüber den Tieren, die sich nicht wehren können!

Und nun, am 25.Januar 2003 war es passiert. Gerade war ich im Begriff, einen deftigen Forumbeitrag im Internet zu kommentieren, hörte ich meine Frau, die gerade ins Haus gekommen war, mit verweinter Stimme etwas Ungeheuerliches aussprechen: Klaus, unser Billy liegt auf der Straße, er ist tot! Mir fuhr ein elektischer Schlag durch den Körper, hatte das Gefühl, jeden Moment einen Ohnmachtsanfall zu kriegen. Mir wurde schlecht. Das hinderte mich aber nicht daran, an meiner bitterlich weinenden Frau vorbei nach draußen zu stürmen. Schon von weitem sah ich am dreckigen, nassen Straßenrand auf dem Asphalt einen kleinen dunklen Körper liegen, lang ausgestreckt. Es war Billy. Sein kleines Trotzköpfchen war blutverschmiert, das eine Auge halb geschlossen, das andere weit aufgerissen. Sein Mäulchen zeigte die kleinen weißen spitzen Zähne, so als würde er sagen wollen, ich werde es euch noch zeigen. Da lag er nun, der kleine, schmächtige, pitschnasse Körper, langausgestreckt, so als könne man sich au ch in diesem Zustand noch wohlfühlen. Niedergestreckt von einem jener Vertreter unserer Zunft, die ich lieber heute als morgen zum Teufel schicken würde. Durch deren unausrottbaren Schwachsinn Mensch und Tier zu Schaden kommen.
Meine Frau war am Boden zerstört. Sie hatte wie ich auch, in dieser Nacht kein Auge zugemacht und war am nächsten Morgen geradezu entstellt. Tiefliegende Augen, hervorquellende Tränensäckchen unter, über, neben den Augen. Ich mußte mir ernstlich Sorgen um sie machen. Ich selber blieb weitgehend verschont, weil ich das plötzlich über uns gekommene Leid nicht so tief in mich eindringen ließ. Ein notwendiger Selbstschutzmechanismus, den nicht jeder von uns mobilisieren kann.

Am Nachmittag des selben Tages mußte ich unseren kleinen Billy begraben, ein liebenswerter, uns ans Herz gewachsener junger Kater, der von einem unserer elenden Zeitgenossen mit seinem PS-Blechkarren, dem "heilig Blechle", über den Haufen und somit totgefahren wurde. Ich durfte meinen blutverschmierten und schon in die Leichenstarre gefallenden Billy am Straßenrand auflesen und unter unserem Holunderbusch im Garten im frostigen Boden begraben. Dazu mußte mit dem elektrischen Bohrhammer der Boden aufgestemmt werden, um überhaupt eine kleine Grube für ihn hinzukriegen. Billy in ein Betttuch gehüllt, legte ich den kleinen kalten Körper in die Grube. Das wars.

Aber glauben Sie, verehrter Leser, ja nicht, dass Mitmenschen, die von unserem Unglück erfuhren, auf die Idee gekommen wären, uns ihr Beileid auszusprechen! - Von einer Ausnahmen abgesehen. So weit sind wir Menschen noch lange nicht. Dazu sind wir bei allem Bildungsstand doch noch viel zu dämlich und vom eigentlichen Menschsein noch weit entfernt. - Ob mich mich hierbei einschließe? Fragen Sie mich ruhig.

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