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Billy
Wir haben Billy als Findelkind in einer Milchviehanlage(was für ein häßliches Wort) unseres Dorfes bei uns aufgenommen, kurz nach dem unser Jungkater Karl von einer zur nächsten Stunde wie vom Erdboden verschluckt verschwunden war. Eigentlich wollten wir keine weitere Katze mehr aufnehmen – wir hatten ja noch Kater Tobi und Katze Ulla – aber die Nachbarin, die dort arbeitete, schilderte uns das bevorstehende Schicksal von Teufelchen, so hieß Billy nämlich da, so dramatisch, daß wir uns dann doch entschlossen, dem kleinen, handtellergroßen Kerl ein neues Zuhause zu geben.
Tobi und auch Ulla taten sich erwartungsgemäß etwas schwer damit, den neuen Hausgenossen, das neue Familienmitglied zu akzeptieren. Nur nach und nach wurde Billy von den beiden angenommen, zwar nicht gänzlich ohne Vorbehalte, aber er wurde nicht mehr angefaucht, sobald er sich einen der beiden näherte. Alos, es war eine doch problematische, ziemlich lange währende, unsere Nerven mitunter durchaus strapazierende Anpassungsphase.
Billy wurde umsorgt, medizinisch betreut, er durfte unsere Möbel rampunieren und hielt uns mit seinen langwierigen Toilettengängen auf Trapp. Kein Stammplatz unserer beiden anderen Katzen war vor ihm sicher. Einer nach dem anderen wurde von ihm in Beschlag genommen und nach kurzer Zeit aber wieder freigegeben. Ulla und Tobi konnten aufatmen. Und wir auch.
Schließlich nistete Billy sich auf einem Kleiderschrank ein, der bereits für diesen Zweck präpariert war. Auf dem hatten bisher Ulla und Rita schon ihren Stammplatz eingerichtet. Fast regelmäßig gegen Mitternacht mußte Billy aber vom Schrank absteigen und sich in meinem Bett einnisten. Die erste Zeit lag er dann auf meinem Kopfkissen und drückte seine kalte Nase in meine Augenhöhlen oder Nasenlöcher. Wendete ich mich auf die andere Seite, platzierte er sich genau dort. Oder er lag ganz bescheiden am Fußende meines Bettes. Manchmal machte er es sich aber auch im Bereich meiner Kniekehlen bequem. So richtig schlafen war da nicht möglich. Trotzdem. An seiner Seite zu liegen war mir ein Bedürfnis.
Frühmorgens, meist war Billy der erste, kratzte er auf dem Läufer oder an der Tür, um endlich nach draußen gehen zu können. Dieses Ritual vollzog sich nahezu jeden Tag auf's neue. War Billy außer Haus, saß uns doch jedesmal die Sorge im Nacken, ihm könnte etwas zustoßen. Kein Mensch, der Tiere nicht mag, wird bereit sein, sich das vorzustellen. Der würde uns den Vogel zeigen.
Einmal war Billy fast zwei Tage weg. Die Suche im Dorf brachte nichts außer der Erkenntnis, offenbar wieder eine Katze auf eine unerklärliche Weise eingebüßt zu haben. Mit der Erfahrung durch das Verschwinden unseres Karls waren wir diesmal eher bereit, den Verlust von Billy zur Kenntnis zu nehmen. Doch siehe da! Plötzlich stand der kleine, noch ziemlich hagere Typ vor unserer Terrassentüre und schaute uns mit treuherzigen Augen ins Gesicht. Meiner Frau und mir fielen zentnerschwere Brocken von der Seele, als wir in dieses kleine, freche Katzengesicht blicken durften. Wir hatten keine Vorstellung, wo Billy gewesen sein könnte.
Billy entwickelte sich prächtig. Sein Fell glänzte und war schon dichter geworden. Wir waren gespannt darauf, wie er sich beim ersten Schnee verhalten würde. Schließlich hatte er ja noch keinen gesehen. Als es dann so weit war, wunderten wir uns, wie selbstverständlich der Schnee und die Kälte von Billy zur Kenntnis genommen wurden. Sogar dann, wenn der Schnee alles abdeckte, brachte er von irgendwoher eine Maus. Eines Tages gerieten wir in helle Aufregung. Insbesondere abends legten wir großen Wert darauf, dass unsere Katzen ins Haus kamen. Wir haben unsere Katzen dazu bringen können, beim Signal mit einer Hundepfeife ins Haus zu kommen. Meistens gelang das auch. Oft mußten wir mit mehreren Pfiffen nachhelfen.
Billy hatte noch eine ganz ungewöhnliche Vorliebe zu bieten: Mit Ausdauer und Begeisterung kletterte er in Waschbecken, lies sich mit Wasser bespritzen und saugte schon mal heftig am Wasserauslauf unseres Handwaschbeckens. Jedesmal, wenn ich den Wasserhahn kurz aufdrehte und Billy war in der Nähe, brauste er heran, warf sich ins Becken und sah gespannt zu, wie das Wasser im Abfluß verschwand. Dann leckter er schnell noch die Letzten Tropfen vom Wasserhahn und machte es sich darunter bequem, oder wie er das sah. Billy hatte auch sehr schnell erkannt, wie angenehm es sein konnte, mit einem weichen Handtuch abgetrocknet zu werden, wenn er bei Schmuddelwetter mehr oder weniger naß nach Hause kam. Da forderte er schon mal die Sonderbehandlung ein, indem er miezte, bis das Handtuch kam. Bereitwillig ließ er die Prozedur geschehen, genoss es geradezu. SchmerzhaftEs ist ganz sicher kein Kavaliersdelikt oder eine Bagatelle gar, wenn jemand ein Tier - ein geliebtes Haustier allemal - so mir nichts dir nichts über den Haufen fährt und ungestraft davon kommt. Es ist ja nur ein Tier! Kaltschnäutzige - im Halbaffenstadium ihrer Entwicklung zum Menschen befindliche - Zeitgenossen würden jetz dagegenhalten, es gäbe schließlich genug Menschen, die über den Haufen gefahren würden, das solle man bedenken. Das ist wahr. Aber immerhin werden die von ihresgleichen umgefahren und nicht von Katzen. Hier und jetzt jedoch geht es um unsere Mitbewohner des Hauses und um die Bewohner unserer Herzen. Und um die unsäglichen seelischen Belastungen der von diesem Verlust betroffenen Tierhalter. Die uns liebgewordenen Vierbeiner sind die Kinder unserer Seelen. So manchen von uns hat der Verlust des Haustieres das Herz gebrochen, mancher ist krank geworden, andere sind daran gestorben.
Und nun, am 25.Januar 2003 war es passiert. Gerade war ich im Begriff, einen deftigen Forumbeitrag im Internet zu kommentieren, hörte ich meine Frau, die gerade ins Haus gekommen war, mit verweinter Stimme etwas Ungeheuerliches aussprechen: Klaus, unser Billy liegt auf der Straße, er ist tot! Mir fuhr ein elektischer Schlag durch den Körper, hatte das Gefühl, jeden Moment einen Ohnmachtsanfall zu kriegen. Mir wurde schlecht. Das hinderte mich aber nicht daran, an meiner bitterlich weinenden Frau vorbei nach draußen zu stürmen. Schon von weitem sah ich am dreckigen, nassen Straßenrand auf dem Asphalt einen kleinen dunklen Körper liegen, lang ausgestreckt. Es war Billy. Sein kleines Trotzköpfchen war blutverschmiert, das eine Auge halb geschlossen, das andere weit aufgerissen. Sein Mäulchen zeigte die kleinen weißen spitzen Zähne, so als würde er sagen wollen, ich werde es euch noch zeigen. Da lag er nun, der kleine, schmächtige, pitschnasse Körper, langausgestreckt, so als könne man sich au
ch in diesem Zustand noch wohlfühlen.
Niedergestreckt von einem jener Vertreter unserer Zunft, die ich lieber heute als morgen zum Teufel schicken würde. Durch deren unausrottbaren Schwachsinn Mensch und Tier zu Schaden kommen.
Am Nachmittag des selben Tages mußte ich unseren kleinen Billy begraben, ein liebenswerter, uns ans Herz gewachsener junger Kater, der von einem unserer elenden Zeitgenossen mit seinem PS-Blechkarren, dem "heilig Blechle", über den Haufen und somit totgefahren wurde. Ich durfte meinen blutverschmierten und schon in die Leichenstarre gefallenden Billy am Straßenrand auflesen und unter unserem Holunderbusch im Garten im frostigen Boden begraben. Dazu mußte mit dem elektrischen Bohrhammer der Boden aufgestemmt werden, um überhaupt eine kleine Grube für ihn hinzukriegen. Billy in ein Betttuch gehüllt, legte ich den kleinen kalten Körper in die Grube. Das wars. Aber glauben Sie, verehrter Leser, ja nicht, dass Mitmenschen, die von unserem Unglück erfuhren, auf die Idee gekommen wären, uns ihr Beileid auszusprechen! - Von einer Ausnahmen abgesehen. So weit sind wir Menschen noch lange nicht. Dazu sind wir bei allem Bildungsstand doch noch viel zu dämlich und vom eigentlichen Menschsein noch weit entfernt. - Ob mich mich hierbei einschließe? Fragen Sie mich ruhig. |