Katzengeschichten

Siggi | Abschied von Siggi | Ulla | Tobi | Rita | Karl | Billy | Spatzen-Schicksal

Rita

Was für ein Tag! Es nieselte leicht, aber durchdringend. Gerade wollte ich mit dem Auto den Zittauer Ring vom Einkauf kommend in Richtung Oberseifersdorf verlassen, da entdeckte ich auf dem Bürgersteig auf der linken Seite ein kleines Wesen, schwarz-weiß gefleckt, wie es gerade über den Rasenkantenstein auf die Grünanlage zutaumelte. Da bin ich gleich rechts ran und habe angehalten, um dieses Wesen noch zu erwischen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß solch ein hilfloses kleines Wesen überhaupt eine Überlebenschance haben würde. Schließlich handelte es sich bei diesem hilflosen, bezaubernden Wesen um ein ganz junges Kätzchen, ein Baby, winzig und taumelig. Als ich endlich die Grünanlage erreichte, war der Zwerg nicht mehr zu sehen. Ich suchte unter den Sträuchern- und siehe da, unter einem Rhododendronstrauch entdeckte ich das Katzenbaby. Ängstlich schaute es mit großen Kulleraugen zu mir heraus. Als ich es aufforderte, hervorzukommen, kam es mit quäkenden Lauten zu mir herübergetaumelt. Als ich es aufhob, fühlte ich, wie es zitterte. Es war eigentlich mehr ein mit Fell überzogenes Skelett, was ich da in meiner Hand hielt. Es zitterte vor Kälte, obwohl es eigentlich gar nicht so kühl war an diesem Vormittag. Und es sah herzerweichend runtergekommen aus, schmuddelig, völlig verflöht, wie sich später herausstellen sollte. Rasch ging ich mit diesem kleinen Wesen zum Auto zurück, in dem Gudrun schon wartete.

Rita, gefunden am Zittauer Ring

Als ich ihr das kleine Kätzchen zeigte, nahm sie die Decke und hüllte den Katzenzwerg darin ein. Wir fuhren sogleich weiter. Das Kleine zitterte und miezte. Die Versuche, mit Tierärzten in Kontakt zu kommen, scheiterten, keiner war zu Hause. Also fuhren wir nach Hause. Als erstes setzten wir das Kätzchen vor den Futternapf. Gierig und laut schmatzend kaute sie die etwas größeren Brocken des Katzenfutters und schlang es eilig hinunter. Was war das arme Tier ausgehungert!

Später untersuchte ich es eingehender und stellte fest, das es über und über mit Flöhen und Flohkot verseucht war. Wir haben immer Mittel im Haus gegen Ungezieferbefall. So auch Flohpuder und eine weiteres, rasch wirkendes Mittel, welches aus einer Pipette direkt auf die Haut aufgetragen wird. Nach dieser Prozedur wickelte ich das Kätzchen in ein Tuch und hielt es längere Zeit so, daß nur das Köpfchen herausschaute. Nach einiger Zeit stellte ich es wieder auf die Beine. Da konnten wir sehen, wie hunderte Flöhe aus dem Fell auf die Fliesen des Bades abfielen. Soviel Flöhe habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen! Wie konnte ein so kleiner Körper wie dieses Kätzchen so etwas bloß aushalten.

Wir merkten mit großer Zufriedenheit, wie unser Kätzchen sich erholte und selbst offenkundig diese Erleichterung verspürte. Am Abend wollten wir mit ihm noch zum Tierarzt. Als wir dort ankamen, waren schon einige Tierbesitzer mit ihren Haustieren im Warteraum. Unser Kätzchen erregte allgemeines Interesse, wurde bestaunt ob seiner Winzigkeit. Als wir schließlich den Behandlungsraum betraten, eröffnete ich der Tierärztin, die uns und unsere Katzen schon gut kannte und ja wußte, daß eine Ulla hieß. Ulla würde uns erschrecken, weil sie so schrumpfte. Mit diesen Worten öffnete ich den Transportbehälter. Das Kätzchen sah in der Tat aus wie Ulla. Sie würde immer kleiner werden! Erstaunt sah die Ärztin in den Korb und wollte es nicht glauben. Dann verstand sie und lachte.

Das Kätzchen wurde nun nochmals untersucht und gleich entwurmt. Mehr war zunächst nicht zu tun. Abgesehen von der Magerkeit des Tieres war es offenbar kerngesund. Die Tierärztin meinte, als wir ihr erzählten, daß wir keine vierte Katze aufnehmen wollten und diese eventuell an Nachbarn abgeben würden, daß gerade solche Tiere, die so gelitten hatten und denen so geholfen worden sei, besonders anhänglich würden und mit großer Dankbarkeit reagierten. Nun, diese Reaktionen kannten wir schon seit unseren anderen drei Katzen, die wir allesamt ja von der Straße bzw. Aus dem Tierheim geholt hatten. Aber außer Ulla hatte keine so gelitten wie dieses kleine Wesen. Aber die Ärztin hatte für unsere Absicht, es weiterzugeben, Verständnis, denn irgendwo mußte eine Grenze gezogen werden, will man letztendlich nicht alle notleidenden Tiere im Haus haben. Für die Behandlung verlangte sie nichts. Die gute Frau war außerordentlich tierlieb, hatte selbst drei Katzen, einen Hund und einen Vogel- aber im guten Sinne.

Auf meine Frage, wie man denn solch eine kleines Kätzchen stubenrein bekäme, riet sie uns, es einfach in das Katzenklo zustellen und mit dessen Vorderfüßen zu scharren. Sie würde dann künftig im Katzenklo sein Geschäftchen verrichten.

Inzwischen ist die Katze Rita schon einpaar Monate älter. Längst liegt sie nicht mehr auf der Schulter oder der Brust der Pflegeeltern. Sie tobt im Haus herum, schleppt ihre weiche Stoffmaus in alle Räume. Jedesmal amüsieren wir uns köstlich, wenn Rita nach dem Frühstückshappen plötzlich verschwindet und gleichdarauf mit ihrer Stoffmaus im Schnäuzchen wieder aufkreuzt. Vor kurzem hatten wir eine größere Suchaktion starten müssen, weil dieses Spielzeug und auch ein quietschendes Gummiei nicht mehr auffindbar waren. Weil wir schließlich vermuteten, diese Dinge könnten auch an einem für uns nur schwer zugänglichen Platz im Eßzimmer liegen, machten wir uns daran, diese schier unerreichbaren Winkel zu durchsuchen. Mit Spiegel und Taschenlampe verschafften wir uns Einsicht in die finstersten Ecken unseres Eßzimmers. Das war der Raum unter der Arbeitsplatte hinter Geschirrspüler und Unterschränken. Mit dem Spiegel schauten wir um die Ecken und mit der Taschenlampe leuchteten wir in den Spiegel. Auf die Art kam Licht in die dunkelsten Winkel und Ecken. Die Schildbürger hätten dieses Problem wohl auf ihre Art und besser gelöst. Sie hätten das Tageslicht in Tüten gesammelt und sie dann in den finsteren Ecken wieder ausgeschüttet.

Der Tod kam per Dummheit im Auto

Am 1. März im Jahre 2000 kam es zu dem Unglück. Den ganzen Tag schon lag eine Spannung in der Luft. Wir waren zu einer Feier anläßlich einer Silberhochzeit eingeladen. Dazu hatten wir in den vergangenen Tagen einige Vorbereitungen getroffen. Mutter war sogar noch schnell zum Friseur gegangen. Unsere Sorge galt wie jedesmal, wenn wir für etwas länger aus dem Haus gingen, unsere Katzen daheim zu wissen. Dort sind sie am sichersten aufgehoben.

Wir waren also im Begriff, zur Silbernen Hochzeitsfeier zu fahren. Ulla, Rita und auch Tobi waren im Haus. Aus unerfindlichem Grund kam Gudrun auf die Idee, Rita nochmals aus dem Haus zu lassen. Ich war überrascht, meine Nesthäkchen im Garten auf dem Komposter sitzen zu sehen, von wo aus sie mit aufmerksamen Augen in die Runde schaute. Ich nahm mir vor, sie nicht erst anzurufen, damit sie sich nicht entfernt. Immerhin wollten wir in einer knappen Stunde losfahren. Doch Rita hielt es nicht lange auf ihrem Platz. Vom oberen Flurfenster aus sah ich sie denn auch auf der Wiese über der Betonstraße dicht am Straßengraben sitzen.

Rita, fast 1 Jahr alt

Ich holte die Hundepfeife, mit der wir unsere Katzen immer daran erinnern, wieder nach Hause zu kommen. Diese Methode hatte sich die Jahre über gut bewährt. Auch Rita hatte gelernt, mit diesem Signal etwas anzufangen. Doch wie ich gerade in die Pfeife blies, knatterten zwei Mopeds heran und näherten sich dem Abschnitt, wo Rita saß. Nun fürchtete ich, sie würde just in diesem Moment über den Graben hechten, wo die sich jagenden Mopedfahrer heran waren. Doch wir hatten Glück. Rita ignorierte mein Signal und blieb brav sitzen. Dann aber setze sie sich in Bewegung. Sie lief am Graben entlang über den Bereich einer Einfahrt und verharrte dann. Ich nahm an, sie würde sich in Richtung ehemaligen Schweinestall weiterbewegen, wo sie sich auch des öfteren herumtrieb. Die Aussichten, sie dann bis zum Abfahrtstermin ins Haus zu kriegen, waren in diesem Falle nicht gerade günstig. Ich wandte mich nun vom Fenster ab und ging ins Wohnzimmer. Vorher dachte ich noch, ob ich Gudrun auffordern sollte, sich um Rita zu kümmern, sprich, zur Wiese hinüberzugehen und sie einzufangen. Ich tat es nicht.

Und das Unglück nimmt seinen Lauf. Gerade als ich das Schloß am Fenster zudrückte, hörte ich plötzlich ein kurzes eifenquitschen eines Autos. Ich sah in Richtung Straße und dorthin wo ich Rita vermutete. Blitzartig dachte ich, jetzt war's passiert! Und tatsächlich. Das Auto fuhr weiter und ich sah Rita, wie sie wie im lustigen Spiel mit einem über den Boden wirbelnden Herbstblatt am Straßenrand herumsprang. Doch das war kein Spiel. Das war der letze Todeskampf unsere kleinen Rita! Ich lief aus dem Wohnzimmer und rief meine Frau. Wir verließen das Haus. Ich wollte so schnell wie möglich bei unserem kleinen Kätzchen sein, und zwar bevor sie von einem weiteren Auto zermalmt werden würde. Um den Weg dorthin abzukürzen kletterte ich gleich über den Zaun in Nachbars Grundstück und rannte auf die Straße. Da lag meine Rita lang hingestreckt mit weit aufgerissenen Augen auf dem schwarzen Asphalt. Sie rührte sich nicht mehr. Nichts bewegte sich an ihr. Verletzungen waren bis auf eine kleine Wunde an einem Vorderpfötchen nicht zu sehen. Sie blutete auch bis auf diese eine Stelle nirgendwo. Meine Hand fühlte die Körperwärme durch das dünne Fellchen. Rita atmete nicht mehr. Die Pupillen waren weit offen und ganz starr. Ich war außer mir. Mit dem kleinen warmen Körper in den Händen lief ich zurück ins Grundstück der Nachbarn. Auf dem Wege dort hin hatte ich in meiner Ratlosigkeit und Verzweiflung versucht, Rita durch einpaar Atemspenden wieder ins Leben zurückzuholen. Das kleine Mäulchen roch leicht nach Futter, so wie es bei weiblichen Katzen üblich zu sein scheint. Denn Auch Ulla riecht ziemlich deutlich aus dem Schnäuzel nach Futter. Dies scheint eine Einrichtung der Natur zu sein, dem Nachwuchs Orientierungshilfe zu geben. Doch Rita war noch niemals Mutter. Sie sollte ohnehin nächsten Monat kastriert werden. Während des Laufes hatte ich auch versucht, den schmalen Brustkorb zu drücken. Ich wollte irgendwie erreichen, daß ihr Herz wieder anfinge zu schlagen.

Auf der Wäschewiese angekommen, legte ich Rita ins Gras, um nochmals den Versuch zu machen, sie wiederzubeleben, obwohl mir bewußt geworden war, daß Rita nicht mehr zurückzuholen war. Sie war tot, mausetot! Der Fahrer des Unglücksautos kam sogar zurück. Er haben es nicht verhindern können und es täte ihm leid. Immerhin habe er auch eine Katze zu Hause. Unsere Katze sprang plötzlich aus dem Graben auf die Straße. Der Anprall war so schlimm, daß es einem ziemlichen Knall gab. Er vermutete einen Genickbruch. Er habe im übrigen deshalb nicht angehalten, weil er seine Frau erst noch vor dem einige hundert Meter weiter befindlichen Supermarkt absetzen wollte. Ihm ist bestimmt nicht aufgegangen, was er auch uns als Menschen mit dem Anfahren, mit seiner lausigen Unaufmerksamkeit angetan hatte. Den wenigsten unserer Artgenossen kommt das wahrscheinlich überhaupt ins Bewußtsein. Die Teilnahme an der Feier hatte sich für uns erledigt.

Die Vorbereitungen, Extrafahrt nach Görlitz, Entwerfen und Ausdruck der Glückwunschkarte, verpacken des Geschenkes usw. alles futsch. Tiefe Verzweiflung, Schlaflose Nächte, qualvolle Erinnerungen- alles das belastete unsere Seele. Die zurückliegenden Bemühungen rund um unsere Rita wurden von einer zur nächsten Sekunde durch die Dußligkeit eines Autofahrers und dessen Haufen Blech zunichte gemacht. Und das, obwohl der Straßenrand weit einsehbar ist und damit nicht mit überraschend auftauchendes Getier zu rechnen war. Jedes Wesen konnte man rechtzeitig sehen, was sich auf die Straße zubewegen würde. Wäre der Fahrer einer gewesen mit nur einer Hirnwindung mehr, Rita würde vielleicht noch in unserem Haus herumspringen.

Inzwischen war auch die Nachbarin mit ihrem Auto ins Grundstück gerollt und sah uns erstaunt an. Gudrun stand dabei und weinte. Ich nahm Rita wieder hoch und wir stürzten in unser Haus. Ich wollte zum Tierarzt. Denn so sicher war ich mir nicht, daß Rita wirklich tot war. Meine Anrufe waren bei drei Tierärzten zunächst erfolglos. Keiner von ihnen war in seiner Praxis. Schließlich erwischte ich doch einen per Funktelefon. Nach kurzer Schilderung des Geschehens und des Zustandes von Rita machten wir uns gleich auf den Weg nach Zittau in die Tierarztpraxis. Dort ließ man mich auf mein Bitten hin auch gleich vor. Behutsam stellte ich den Transportbehälter auf den Behandlungstisch und öffnete ihn. Die Tierärztin schaute hinein und stellte sogleich die Diagnose. Schädelbruch. Das inzwischen aus der kleinen Nase von Rita ausgetretene Blut war für sie ein untrügliches Indiz für ihre Feststellung. Die Augen waren tot. Sie holte den kleinen Körper aus dem Behälter und legte ihn unter die helle OP-Lampe um die Reaktion der Pupillen zu prüfen. Die reagierten nicht. Nun war es sicher: Rita, unser kleines Nesthäkchen würde uns nie wieder zum Lachen bringen, würde niemals mehr ein kleines Pfützchen in unsere Betten oder Lagerplätze von Ulla machen. Sie würde nie mehr raschelnden Papierknöllchen hinterherjagen oder die schwarze Stoffmaus herumschleppen. Und sie würde nie wieder pfeilschnell und in großen Sprüngen vom Eßzimmerstuhl auf den Ledersessel und von da zum Hocker und dann in den Flur fliegen. Rita war nicht mehr. Von einer zur nächsten Sekunde. Nie mehr wird sie ihre kleine rosa Nase schnüffelnd emporstrecken und mit ihren hellrosa Ohren wachsam in die Umgebung lauschen. Kein kokettes Hin und Her ihres kleinen Katzenhinterteils mehr auf dem Laufsteg, über das wir immer so herzlich lachen konnten. Die wunderschönen Augen unserer kleinen Rita waren erloschen.

zurück | nach oben