Katzengeschichten

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Ulla

Heute, an einem regnerischen Maientag, haben wir einen kleinen Gast im Haus. Es ist unfaßbar, wozu Wesen, die sich wohl Menschen nennen, fähig sind. Und es ist nahezu unerträglich zu wissen, mit wie vielen Schwachsinnigen der Spezies "Mensch" unsereins unter diesem Himmel aushalten muß! - Im Hof der Tischlerwerkstatt im Bildungszentrum Olivietti, kurz OBZ genannt, hatte sich ein vielleicht 6 Monate altes Kätzchen herumgetrieben. Sie fiel mir durch ihr besonders niedliches Gesichtchen und der zutraulichen Wesensart gleich auf. Neugierig stattete sie uns auch in der Werkstatt ihren Besuch ab, beäugte herumstehende Taschen und Beutel der Zweibeinigen, schaute auch mal hinein, legte sich auf die abgelegte Kleidung derselben und machte vertrauensvoll die ansonsten süßen Kulleraugen einfach zu. Ihr Fell war seidig weich, nur etwas angegraut vom Schmutz der Straße, dem Schmutz der Menschen.

Ulla-die Außerirdische

Und heute kam sie auch wieder in die Werkstatt. Ich glaubte, meinen Augen nicht trauen zu dürfen! Ihr Fell war völlig entstellt. Sie sah aus wie eine kranke Katze, die von der Reude geplagt wurde. Als ich mir den kleinen Kerl etwas genauer ansah, entdeckte ich bis eineinhalb Zentimeter lange Schnitte in der Haut, die vermutlich von einer Schere herrührten. Links und rechts ihres Körpers war das Fell stufenartig abgeschnitten. Zahlreiche Einschnitte der Schere hatten die Haut aufgeschlitzt. Sogar am Schwanz waren Fellverstümmelungen vorhanden. Die Schwanzspitze war abgeschnitten! "Zufällig" hatte ich etwas Trockenfutter dabei. Nachdem sie einen kleinen Teil davon gefressen hatte, spazierte sie ungeachtet ihres Aussehens vertrauensselig, arglos zwischen den Hobelbänken herum. Beim Anblick des Fells konnten selbst diejenigen ihre Entrüstung nicht verbergen, die am Vortag noch mit gehässigen Bemerkungen beim ersten Auftauchen des Kätzchens tagszuvor unangenehm aufgefallen sind. Einige von ihnen behaupteten gar, sie würden Katzen nicht ausstehen können!

Das von mir hingeworfene Zitat eines geistreichen, leider längst verblichenen Artgenossen (Nietzsche), "Seit ich die Menschen kenne, lieb' ich die Tiere“- wurde eigentlich nicht verstanden. Einer griff im "Geiste" schon zum Luftgewehr, um dem wehrlosen Tier eins überzubraten. Das erinnerte mich sogleich an die üble Schußverletzung an unserem Siggi. Das war auch ein Schuß mit einem Luftgewehr! Ein anderer hatte den "Spaß" vor Augen, den er haben würde, wenn man der Katze eine Büchse an den Schwanz bände! Angesichts derartigem Schwachsinns war ich sprachlos; was selten vorkommt.

Ulla

Und so griff ich mir kurzerhand das gepeinigte Kätzchen - es ist diesmal kein Kater, sondern ein Fräulein - und fuhr es in der Mittagspause nach Hause, wo Mutter schon werkelte. Sie hatte an diesem Tage eine Arbeit geschrieben und war schon früh am Vormittag wieder zu Hause. Der Staubsauger verrichtete gerade seine Dienste, als ich vorsichtig von der Haustüre aus, die Katze in der Armbeuge, rief:"Mäusel, wir haben einen Gast!" Mutter wurde richtig bleich, als sie sah, was ich mitbrachte. Sie kannte ja die Geschichte noch nicht. Nur mit Mühe konnte ich sie beruhigen, um ihr schließlich zu erklären, daß es sich nur um einen kurzfristigen Aufenthalt bei uns handeln würde. Ich hatte vor, die Katze in eine Tierheim zu bringen. Nur wußte ich nicht in welches. In Görlitz war noch keines fertig, erst im Bau, in Zittau gibt es meines Wissens gar keines, in Lawalde bei Löbau möchte ich als Tier nicht leben. Die Zustände dort sind mehr als dürftig und das kurz kennengelernte Personal nicht gerade vertrauenerweckend!

Zunächst jedoch mußte ich mit dem Tier erstmal zur Tierärztin. Sie hat unser Vertrauen, ist sehr nett und engagiert. Mal hören, was sie dazu zu sagen haben würde. Inzwischen gefiel der Mutter das unserem Schutz befohlene Tierchen immer besser. Zumal es bereits anfing, sie abzuschlecken und hingebungsvoll zu schnurren! Nun, ich muß zugeben: Drei Katzen zu versorgen kann unter Umständen durchaus zum Problem werden. Nur viel Liebe zum und Verständnis für das schutzbedürftige Mitgeschöpf helfen, Wege zu finden, Lösungen zu finden, mit neuen Situationen fertig zu werden. Und ganz genau betrachtet: Wo ist das Problem?

Übel sei der Mensch...

Mir ließ es keine Ruhe, nicht zu wissen, ob die Katze zu jemanden gehörte und wer der Übeltäter eigentlich war. In der Klasse, in der ich eine Umschulung in einen neuen Beruf, zum Tischler mitmachte, gab es eine Frau, die in der Nähe der Werkstatt wohnte. Diese fragte ich, ob ihr eine Katze wie Ulla schon unter die Augen gekommen wäre, oder ob sie jemanden kenne, der ein Kätzchen vermissen würde. Sie erzählte mir daraufhin, daß es in einem der angrenzenden Häuser ein kleines Mädchen gäbe, die in einem Schuppen gelegentlich Katzen füttere. Am nächsten Tag ging ich zu diesem Haus und klingelte an der Wohnung, wo ich vermutete, daß es genau die sei, die ich suchte. Und tatsächlich! Mir wurde von einem hübschen, etwa 10 Jahre alten blonden Mädchen geöffnet, bei der ich sofort das Gefühl hatte, ins Schwarze getroffen zu haben. Als ich ihre Mutter zu sprechen wünschte, erklärte sie, daß ihre Mutter schliefe. Es war aber bereits Mittagszeit. Nun, da stellte ich ihr einige Fragen, unter denen ihr Gesichtchen hochrot aufglühte und die Augen verunsichert flackerten.

Sie gab ohne Umschweife zu, gemeinsam mit einer gleichaltrigen Freundin, beide waren neun Jahre alt, das Kätzchen auf die uns so entrüstete Weise entstellt zu haben. Sie war sehr einsichtig und stellte mir in rührender Weise die Frage, ob ich ihr denn verzeihen könne. Sie bedauerte ihre Missetat aufrichtig und bitte um Entschuldigung. Nun, entweder war die Kleine schon ausgebufft wie kein anderes Kind, oder sie hatte wirklich begriffen, was sie da angestellt hatte. Auf jeden Fall war es ihr peinlich. Nach einer kurzen Predigt und ihrem Versprechen, niemals wieder ein Tier zu quälen, verließ ich das Haus ziemlich erschüttert. Wie konnten Kinder so etwas anstellen, noch dazu Mädchen, wo doch eher die frechen Jungens für derlei Frevel bekannt sind?

Ulla schmuste, fauchte Kater Tobi an, wenn er sich blicken ließ und duldete Kater Siggi, ohne einen Laut von sich zu geben. Mit Siggi fraß sie sogar von einem Teller. Doch diesem gefiel das überhaupt nicht. ^Sensibel wie er war, zog er es vor, seinen Platz zu räumen. Ulla entwickelte sich innerhalb der ersten Woche vom vorsichtig herumtapsenden, sich auf unserem Schoße kuschelnden Kätzchen zu einem herumtollenden, Läufer und Tischdecken strapazierenden, blitzschnelle die Treppen herauf und herunterjagenden, die Ledersessel zerkratzenden kleinen „Unhold“, der unsere Nerven wieder mal auf eine, nun sagen wir mal, "harte" Probe stellte. Aber zwischendurch kuschelte sie auf den Knien ihrer Menschen, bei denen sie sich katzenwohl fühlte. Wenn ich am Computer sitze und an diesem oder einem anderen Kapitel meiner Aufzeichnungen schreibe, dann springt sie mir auf den Schoß und dreht sich solange darauf herum, bis sie meint, endlich den bequemsten Platz gefunden zu haben, um schließlich doch wieder herunterzufallen. Wenn ich nicht aufpaßte, hatte sie auch ganz schnell mal kurz die Tasten meines Keyboards gedrückt und ihre Initialen in den Text geschrieben. Konnte sie aber ein sicheren Halt auf meinen Knien finden, hielt sie es stundenlang darauf aus. Sie streckte sich lang hin, ich mußte sie vorm Herunterfallen sichern, langte ab und zu mit einer Vorderpfote nach den Tasten, als wolle sie es mir gleichtun und leckte schließlich an meinen Händen. So war es sicher nicht leicht, sich auf das Schreiben zu konzentrieren.

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